Wetterkapriolen, die Wissenschaft und der Schwarze Tod (1348)

Das Pestgutachten der Universität Paris

(Der Text diente als Grundlage eines Beitrags für die Sendereihe „Betrifft: Geschichte“ auf Radio Ö1, gestaltet zusammen mit Hanna Ronzheimer und ausgestrahlt am 26. 8. 2021: https://oe1.orf.at/programm/20210826/649348/Auf-den-historischen-Spuren-des-Klimawandels)

Als sich im Jahr 1348 die verheerende Pestpandemie des später so genannten Schwarzen Todes vom Mittelmeer her im Königreich Frankreich ausbreitete, erwartete man auch von der Wissenschaft eine Antwort. Die damals in Europa führende medizinische Fakultät der Universität Paris wurde mit einem Gutachten zur Pest beauftragt. Allerdings zeigten sich die Gelehrten angesichts ihres geringen Wissens um die tatsächlichen Ursachen der Krankheit und mangels eines wirksamen Heilmittels sehr zurückhaltend; ihr Gutachten wagten sie nur als anonyme Schrift der Gesamtfakultät herauszugeben.

Anregungen entnahmen sie den Traktaten des Italieners Gentile de Foligno, der 1348 selbst an der Pest starb. Er folgte bei seinem Erklärungsversuch seit der Antike etablierten Traditionen und führte als eine Ursache der Seuche eine ungünstige Konstellation von Mars, Jupiter und Saturn am 20. März 1345 ins Treffen. Dieses buchstäbliche „Desaster“ im Sinn einer Unordnung der Sterne bewirkte, so da Foligno, eine Verbreitung „verdorbener Winde“ in der Atmosphäre, und „wird ein solcher Pesthauch (…) vom Menschen eingeatmet, sammeln sich giftige Dämpfe um Herz und Lunge, verdichten sich dort zu einer Giftmasse, die diese Organe infiziert, durch die ausgeatmete Luft aber auch Familienangehörige, Gesprächspartner und Nachbarn anstecken kann.“ Immerhin wird hier neben den Verunreinigungen in der Luft auch die Möglichkeit einer Ansteckung von Mensch zu Mensch beschrieben. Diese betraf aber im Fall der Pest nur die seltenere sekundäre Lungenpest, während der weitaus wichtigere Zusammenhang mit der Übertragung durch die Flöhe der Ratten (und wohl auch der Menschen) unerkannt blieb.

Abb. 1 Bestattung von Opfern der Pest 1348 in der Stadt Tournai im heutigen Belgien (Darstellung in « Chroniques et annales de Gilles le Muisit », abbé de Saint-Martin de Tournai, Bibliothèque royale de Belgique, MS 13076-77, f. 24v.; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Burying_Plague_Victims_of_Tournai.jpg)

Die Medizinische Fakultät von Paris erwog aber auch einen Zusammenhang mit den klimatischen Extremen der vorangehenden Jahre und schrieb: Seit einiger Zeit sind die Jahreszeiten nicht mehr in richtiger Weise aufeinander gefolgt. Der letzte Winter [1347/1348] war nicht so kalt wie er hätte sein sollen, mit viel Regen; der Frühling war windig und zuletzt nass. Der Sommer kam spät, war nicht so heiß wie er hätte sein sollen und extrem nass – das Wetter war von Tag zu Tag und von Stunde zu Stunde sehr wechselhaft. Die Luft war oft unruhig und dann immer wieder so, als würde es regnen, aber dann regnete es nicht. Auch der Herbst war sehr regnerisch und neblig.“

Abb. 2 Treffen von Gelehrten an der Universität Paris, Darstellung des 16. Jahrhunderts (BNF, Français 1537, fol. 27v; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Meeting_of_doctors_at_the_university_of_Paris.jpg)

Damit dürften die Pariser Mediziner – aber eher zufällig – sogar ins Schwarze getroffen haben. Tatsächlich erweisen neue Baumringdaten, dass die 1340er Jahre in Westeuropa oft ausgesprochen kalt und feucht ausfielen; laut einer aktuellen Temperaturrekonstruktion war der Sommer von 1346 der kälteste des gesamten 14. Jahrhunderts. Solche Witterungsextreme und damit einhergehende Missernten und Unterernährung schwächten die Widerstandskraft der danach von der Seuche betroffenen Bevölkerungen. Die entscheidenden klimatischen Beiträge für den Ausbruch der Pest spielten sich aber weiter entfernt von Westeuropa ab. Schon die Zeitgenossen des 14. Jahrhunderts hatten beobachtet, dass sich die Krankheit aus dem Inneren Eurasiens zu den Hafenstädten am Schwarzen Meer und von dort über die dichten Seehandelswege – dem Pendant zum heutigen globalen Flugverkehr – innerhalb der nächsten Monate im ganzen Mittelmeerraum verbreitet hatte. Wie schon bei der letzten Episode im Zusammenhang mit der Pest des 6. Jahrhunderts erwähnt, existierten und existieren im östlichen Zentralasien Naturpestherde, wo das Pestbakterium unter Nagetierpopulationen bzw. deren Flöhen endemisch ist. Neueste historische und paläogenetische Untersuchungen legen nahe, dass sich dort im 13. Jahrhundert neue, ansteckendere Varianten des Erregers entwickelten und schon Jahrzehnte vor dem Ausbruch des Schwarzen Todes vor allem mit Hilfe der mongolischen Eroberer aus dem Osten in den Westen Eurasiens verbreiteten – etwa zu den Nagetierpopulationen in den Steppen nördlich des Schwarzen Meers.

Abb. 3 Der Übergang von der „Mittelalterlichen Warmzeit“ zur „Kleinen Eiszeit“ im Spätmittelalter in verschiedenen Temperaturrekonstruktionen für die letzten 1000 Jahre (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1000_Jahr_Temperaturen-Vergleich.png, mit weiteren Angaben zum Hintergrund dieser Rekonstruktionen)

Dazu begann ab dem späten 13. Jahrhundert ein klimatischer Übergang von der sogenannten Mittelalterlichen Klima-Anomalie zur Kleinen Eiszeit, die mit einer gesteigerten Frequenz extremer Witterungen einherging, wie eben in den 1340er Jahren. Insbesondere ein rascher Wechsel von besonders feuchten zu sehr trockenen Bedingungen begünstigte die Ausbreitung des Pesterregers von wildlebenden Nagetieren auf solche, die in menschlichen Siedlungen leben, wie z. B. Ratten. Die neue Variante des Bakteriums war offenbar auch leichter durch den Menschenfloh übertragbar. Deshalb konnte sie umso mehr von der mit der Verflechtung Eurasiens im Zeichen des Pax Mongolica einhergehenden Steigerung der Mobilität zwischen den Weltregionen profitieren. Wiederkehrende Ausbrüche der Pest begleiteten im Mittelmeerraum auch den Rest der Kleinen Eiszeit, bis zu ihrem allmählichen Ende im 19. Jahrhundert, als auch die beginnende Mikrobiologie den Erreger erstmals eindeutig identifizierte.

Textgrundlage und weitere Literatur: Johannes Preiser-Kapeller, Der Lange Sommer und die Kleine Eiszeit. Klima, Pandemien und der Wandel der Alten Welt von 500 bis 1500 n. Chr. Wien 2021, 283-332.