Theophrast und die gefrorenen Trauben (330 v. Chr.)

Gab es schon in der Antike einen menschengemachten Klimawandel?

(Der Text diente als Grundlage eines Beitrags für die Sendereihe „Betrifft: Geschichte“ auf Radio Ö1, gestaltet zusammen mit Hanna Ronzheimer und ausgestrahlt am 24. 8. 2021: https://oe1.orf.at/programm/20210824/649346/Auf-den-historischen-Spuren-des-Klimawandels)  

Dass die aktuelle, rasant voranschreitende globale Erwärmung zu einem überwiegenden Teil von menschlichen Aktivitäten verursacht wird, hat die Wissenschaft eindeutig erwiesen. Doch wie sieht es mit klimatischen Veränderungen vor dem Zeitalter der Industrialisierungen aus? Dass der Mensch schon damals zumindest auf lokaler Ebene einen Einfluss auf das Klima nehmen konnte, deutet um 330 v. Chr. der griechische Philosoph Theophrast, ein Schüler des Platon und Aristoteles, an. Er schreibt: „Im Land um die Stadt Larissa in Thessalien (einer Region in Mittelgriechenland) herum war früher, als es dort viel stehendes Wasser gab und die Ebene ein einziger See war, die Luft dicker und das Land wärmer. Nun aber, da man die Fläche entwässert hat und man das Wasser daran hindert, sich wieder zu sammeln, ist das Land kälter geworden, und es gibt häufiger Frost als früher. Als Beleg dafür mag dienen, dass es früher direkt in der Stadt und auch in ihrem Umland ausgezeichnete Ölbäume gab, während man jetzt nirgends welche sieht; und dass Weinreben früher nie Frost litten, dies heutzutage aber häufig geschieht.

Abb. 1 Karte der erwähnten Städte und Regionen im antiken Griechenland (erstellt mit GoogleEarth)

Eine Veränderung des Klimas beobachtet Theophrast auch für das nördlich benachbarte Makedonien, die er auf die Rodung von Wäldern zurückführt. Dort wurde, so beschreibt er, die Witterung allerdings wärmer, und Winterfroste blieben im Gegensatz zu Thessalien aus. Der deutsche Althistoriker Werner Tietz bemerkt dazu, dass Theophrast vermutlich in beiden Fällen richtiglag. Im bergigen Makedonien blies der Wind die Kälte nach den Rodungen aus den Niederungen, während derselbe Wind im ebenen Thessalien eine ohne Bäume weitgehend ungeschützte Landschaft vorfand und die früheren großen Wasserflächen auch nicht mehr zur Abmilderung des Frosts beitrugen.

Ein Grund für die Rodungen war neben der Gewinnung von Ackerland der Bedarf an Bauholz für die Handels- und Kriegsflotten der zahlreichen griechischen Staaten, die in einem ständigen Wettstreit miteinander lagen. Eine führende Stellung nahm dabei Athen ein, das mit 40 000 Einwohnern in der Stadt und weiteren 250 000 im Umland die größte Metropole der Ägäis war. Auch für Athen schildert Platon, der Lehrer des Theophrast, in seiner Schrift „Kritias“ eine dramatische Veränderung der Landschaft. Infolge der Abschwemmung des fruchtbaren Bodens, so schreibt er, sind „nur mehr die Knochen des erkrankten Körpers (…) vorhanden, (…). Früher waren die Talgründe (…) mit fetter Erde bedeckt, und die Berge bekränzten dichte Waldungen. (…) Auch trug der Boden viele andere, hohe Fruchtbäume und bot den Herden ergiebige Weide. Dem Boden gab das im Laufe des Jahres von Zeus entsandte Wasser Gedeihen, welches ihm nicht verloren ging, während es sich jetzt bei dem kahlen Boden in das Meer ergießt. Indem der Boden viel Erde besaß, in die er das Wasser aufnahm und es in einer schützenden Tonschicht verteilte, entließ er das von den Höhen eingesogene Wasser in die Talgründe und gewährte nach allen Seiten reichliche Bewässerung durch Flüsse und Quellen.

Abb. 2 Darstellung der griechischen Philosophen Platon und Theophrast auf einem Kupferstich des 17. Jahrhunderts (Quelle: J. v. Sandrart, Teutsche Academie, Nürnberg 1675–1679)

Ähnliche Prozesse wie jene, die Platon beschreibt und die zu verkarsteten, kahlen oder mit niedrigen Gebüschformationen bewachsenen Landschaftsformen führten, wurden für viele Regionen des Mittelmeerraums als Folge der antiken Übernutzung von Wäldern gedeutet. Jedoch erwiesen jüngere Untersuchungen große Unterschiede zwischen den mediterranen Regionen, von denen einige mehrere Phasen der Ent-, aber auch erneuten Bewaldung seit dem Beginn der landwirtschaftlichen Nutzung vor ca. 7000 Jahren erlebten. Der entscheidende Schritt zum jetzigen erodierten Zustand wurde oft erst mit dem demographischen und ökonomischen Wachstum des 19. und 20. Jahrhunderts gesetzt und kann nicht antikem Raubbau zugeschrieben werden. Die „Mega-City“ Athen mag aber auch schon damals ein Sonderfall besonders intensiver und weniger nachhaltiger Nutzung des Umlandes gewesen sein.

Abb. 3 Reste einer antiken Metallverhüttungsanlage im Laurion-Gebirge südöstlich von Athen; der dortige Silberbergbau trug mit seinem Holzbedarf zur Entwaldung Attikas bei (Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ancient_metal_workshop_(KORDELLA).JPG?uselang=de)

Doch beeinflusste der Mensch das Klima auch jenseits der regionalen Ebene bereits vor der Industrialisierung? Diese These stellte zumindest 2003 der US-amerikanische Paläoklimatologe William F. Ruddiman auf. Er vermutete, dass schon mit der Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht die Menschen zu einem vor 7000 Jahren beginnenden allmählichen Anstieg der Konzentration der Treibhausgase Kohlendioxid und Methan beitrugen. Dies hätte den seit dem Ende der letzten Eiszeit vor 10 000 Jahren einsetzenden wärmeren Klimatrend stabilisierte. Im Gegensatz zum gegenwärtigen, viel dramatischeren Anstieg von CO2 und Methan in der Atmosphäre, der auf die Folgen menschlicher Aktivitäten zurückgeführt wird, konnte ein solch viel früherer Zusammenhang aber bislang nicht erwiesen werden. Zweifelsohne steigerten Sesshaft-Werdung und Landwirtschaft jedoch die Verwundbarkeit menschlicher Gemeinschaften gegenüber klimatischen Schwankungen. Und die damit einhergehende Veränderung von Ökozonen und das engere Zusammenleben von Mensch und Tier begünstigten die Entstehung neuer Infektionskrankheiten. Dieser Konnex von menschlicher Expansion, Klimawandel und Pandemien begann tatsächlich schon vor 10 000 Jahren.

Textgrundlage und weitere Literatur: Johannes Preiser-Kapeller, Die erste Ernte und der große Hunger. Klima, Pandemien und der Wandel der Alten Welt bis 500 n. Chr. Wien 2021, 182-187.