Ein gemeinsamer Entwicklungspfad für komplexe Gesellschaften

Die heutige Welt ist von großen, hoch entwickelten, dicht besiedelten und technologisch fortgeschrittenen Nationalstaaten geprägt. Wie entstanden solche komplexen Gesellschaften? Warum teilen so viele verschiedene Staaten so viele Merkmale der Organisation und Struktur? Gibt es allgemeine Prinzipien für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, die diese Gemeinsamkeiten erklären können? Zu verstehen, wie wir in unsere moderne Welt gekommen sind, ist der entscheidende erste Schritt, um uns zu zeigen, wohin wir gehen.

Ein neuer Artikel in den renommierten Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States [www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1708800115] bietet neue Antworten auf diese kritischen Fragen und untersucht systematisch, wie sich komplexe Gesellschaften auf der ganzen Welt in den letzten 10.000 Jahren entwickelt haben.

Diese Arbeit ist das Ergebnis jahrelanger Forschung, die von einem großen, internationalen Team von Evolutionswissenschaftlern, Historikern, Archäologen und Anthropologen unter der Leitung von Peter Turchin und Thomas Currie und unter Mitarbeit von Johannes Preiser-Kapeller von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) durchgeführt wurde. Die Forscher sammelten systematisch historische Informationen über ca. 400 verschiedene Gesellschaften der letzten 10.000 Jahre, die aus 30 Regionen auf der ganzen Welt stammten.

Unter Verwendung ausgefeilter Techniken der statistischen Analyse konnten sie eine einzelne Dimension der "sozialen Komplexität" bestimmen, die die Entwicklungsverläufe aller in der Stichprobe untersuchten Gesellschaften sinnvoll messen kann. Diese einzige Dimension besteht aus 9 hochgradig korrelierten "Bausteinen" (mit 51 separaten Merkmalen) - von der Größe der Gesellschaft bis zu ihrer wirtschaftlichen Komplexität, ihrer Verwaltungskapazität, den vorhandenen  Informationstechnologien und anderen. Während sich die meisten früheren Studien auf nur ein oder zwei "primäre" Merkmale konzentrieren, um die soziale Entwicklung zu erklären, zeigt dieser neue Befund, dass soziale Entwicklung eine komplizierte Co-Evolution von zahlreichen, scheinbar disparaten Merkmalen in einer Gesellschaft erfordert.

Die in diesem Projekt verwendeten Daten stammen aus der Seshat: Global History Databank, unter der Leitung von Peter Turchin, Harvey Whitehouse, Pieter Francois, Thomas Currie und Kevin Feeney. Das Seshat-Projekt sammelt Informationen aus vergangenen Gesellschaften, um verschiedene Hypothesen über den Aufstieg und Fall von großen Gesellschaften auf der ganzen Welt und in der Geschichte der Menschheit rigoros zu testen. Seshat versucht, die größte Sammlung von Daten über unsere gemeinsame menschliche Vergangenheit an einem Ort zusammenzutragen. Die Ergebnisse unterstreichen die Kraft der Kooperation zwischen Geistes- und Naturwissenschaften, gemeinsam Hypothesen über allgemeine Regeln, die die menschliche Geschichte geformt haben könnten, aufzustellen und zu testen.